Interview „Zukunftsoptimismus? Ja bitte!“
Jörg Hawlitzeck
Warum Zukunftsoptimismus Menschen und Unternehmen zufriedener macht
In Zeiten von multiplen Krisen und ständig wachsenden Anforderungen optimistisch bleiben? Das geht – ist aber durchaus auch Arbeit. Im Interview verrät uns Jörg Hawlitzeck, warum wir privat und beruflich von Optimismus profitieren, und wie HR-Teams für ein positives Mindset im ganzen Unternehmen sorgen können.
Jörg Hawlitzeck
Speaker, Business-Philosoph
Experte für Leadership, Management und Change
Zukunftsoptimismus einzufordern, ist das in Zeiten wie diesen nicht schon fast zynisch?
„Wir leben natürlich in Zeiten multipler, vielfältiger Krisen: Es gibt Kriege und internationale Auseinandersetzungen, wir haben den digitalen Wandel und die schnelle Entwicklung künstlicher Intelligenz. Viele dieser Faktoren lösen ein hohes Maß an Unsicherheit und Unbehagen in Richtung Zukunft aus. Doch ist es zynisch, von Zukunftsoptimismus zu reden? Ich finde: Nein, sicherlich nicht – denn wir haben immer noch die Möglichkeit, uns im Hier und Jetzt auf die Dinge einzustellen. Das ist eine Wahl, die wir selbst treffen, und die hängt auch von unserer eigenen Einstellung, von unserem Mindset ab.“
Was heißt das für unseren Alltag? Nehmen wir an, jemand beschließt, grundsätzlich optimistisch zu sein. Und stellt schon morgens bei der Arbeit fest: Es ist einfach alles zu viel. Wie bleibt man dann trotzdem zuversichtlich?
„Es fängt damit an, dass wir auch in herausfordernden Zeiten oder Krisen immer nach Chancen suchen. Das ist nicht immer einfach, und es ist auch nicht damit getan, lauthals ‚Tschakka‘ zu rufen oder sich selbst zu belügen. Es geht vielmehr um eine realistische Sichtweise auf die Dinge und darum, sich zu fragen, was gerade trotzdem positiv ist: Welche Chance könnte in genau dieser Situation liegen?
Dafür ist es interessant, sich klarzumachen, wie Zukunft überhaupt funktioniert. Stellen wir uns eine Zeitachse vor, bei der wir uns in der Mitte, also in der Gegenwart, befinden: Nach rechts geht es in Richtung Zukunft, nach links in die Vergangenheit. Dann haben wir natürlich unterschiedliche Zukünfte – einige, die näher liegen, und andere, die weit weg sind.
Die nahe Zukunft betrifft zum Beispiel die Frage, wie mein morgiger Tag aussieht. Welchen Termin lege ich mir in den Kalender? Da haben wir in der Regel ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit, wir können viel Einfluss nehmen. Je weiter wir auf der Zeitachse in Richtung Zukunft gehen – also nächste Woche, nächstes Jahr, die nächsten zehn Jahre – desto geringer wird unser Einfluss. Und das Dilemma besteht darin, dass wir in der Gegenwart nicht zu 100 Prozent wissen, auf welche Rahmenbedingungen unsere jetzigen Entscheidungen in der Zukunft treffen werden. Es gibt immer unvorhergesehene Ereignisse, sogenannte ‚schwarze Schwäne‘, die höchst unwahrscheinlich sind, aber trotzdem passieren, so etwas wie die Finanzkrise oder der Fall der Mauer. Wir können mutmaßen, analysieren und mit Hilfe von Stochastik etwas berechnen – aber wir können einfach nicht sicher wissen, ob die vielen täglichen beruflichen oder privaten Entscheidungen richtig sind.“
Wie hilfreich ist es, dann auf bisherige Entscheidungen zurückzugreifen?
„Viele Menschen handeln genau so: Sie schauen von der Gegenwart in die Vergangenheit und machen es dann so, wie sie es früher gemacht haben – sie projizieren die Vergangenheit also auf die Zukunft.
Doch hier liegt eine große Gefahr, weil es so ähnlich ist, als ob wir mit dem Blick in den Rückspiegel Auto fahren. In der Rückschau sehen Ereignisse und Entscheidungen, die wir getroffen haben, immer sehr logisch aus. Etwa die Finanzkrise 2008: Heute sagen wir, ist doch völlig klar, dass es nicht klappen kann, wenn man irgendwie Kredite bündelt und neu verkauft, wer will am Ende noch wissen, welches Risiko darin steckt? Doch wenn man 2007 Menschen befragt hätte, wären alle davon ausgegangen, dass ihnen goldene Zeiten bevorstehen. In dieser Hinsicht täuschen wir uns oft, wenn wir die Situation nur aus heutiger Sicht betrachten.“
Wie können wir trotzdem in der Gegenwart mehr Zukunftsoptimismus verwirklichen?
„Es gibt zwei Hauptfehler, die es zu vermeiden gilt. Der erste betrifft die Zukunft: Ich bin zu negativ, zu skeptisch. Ich schaue mir etwa all die Kriege und Krisen an und frage mich, wie ich das bloß schaffen soll? Es geht um emotionale Zustände, um Angst und Unbehagen, wir malen uns aus, was schlimmstenfalls passieren könnte – wir fokussieren uns zu stark auf das Negative, weil unser Geist eben so funktioniert. Doch das ist aus meiner Sicht nicht hilfreich, wenn wir der Zukunft konstruktiv begegnen wollen. Die einzige Person, die katastrophisch denken darf, ist ein Pilot, der vor dem Start die Instrumente checkt – in allen anderen Situationen sollten wir übertriebenes, katastrophisches Denken vermeiden.
Und der zweite Fehler, den man machen kann, ist zu positiv in die Zukunft zu sehen, sich alles rosarot auszumalen. Das führt dazu, dass man sich die Lage schönredet und Risiken blauäugig unterschätzt. Aus meiner Sicht liegt die Lösung darin, einen realistischen Optimismus zu verwirklichen. Das bedeutet, ich schaue mir eine Situation sehr genau auf der Basis von Fakten an – auch wenn das in Zeiten von Fake News und alternativen Fakten natürlich immer schwerer wird. Hier ist kritisches, aufgeklärtes, wissenschaftliches Denken ein Vorteil, um einen klaren Blick auf die Verhältnisse zu gewinnen. Und dann stelle ich mir ganz ehrlich die schon genannte Frage: Welche Chance kann in dieser Situation liegen?“
Noch einmal zurück zum Arbeitsalltag: Was wäre dein erster Tipp, um sich besser vorbereitet zu fühlen? Detaillierte To-do-Listen oder große Zukunftsszenarien?
„Das ist beides hilfreich. Die Vorbereitung auf Zukunftsszenarien schadet nie – ob es um den nächsten Termin, die nächste Verhandlung oder das nächste Gespräch geht. Aber auch, wenn es um die Frage geht, wie wir in 15 Jahren zusammenleben und arbeiten werden. Das kann uns neue Perspektiven und Blickwinkel aufzeigen und Türen öffnen, die wir bislang nicht gesehen haben. Dadurch ergeben sich weitere Handlungsoptionen, mit denen wir jetzt gute Entscheidungen treffen können, die sich auf die Zukunft auswirken. Trotzdem besteht weiterhin die Möglichkeit, dass unvorhergesehene und auch unwahrscheinliche Ereignisse eintreten. Neben der exzellenten Vorbereitung auf Gespräche, Verhandlungen oder auch das Leben in der Zukunft brauche ich eine gewisse Flexibilität und mentale Anpassungsbereitschaft. Das bedeutet, dass es mich nicht überwältigt, wenn eine neue Realität um die Ecke biegt, die ich nicht habe kommen sehen.“
Kannst du dafür Beispiele nennen?
„Nehmen wir die aktuellen großen Krisen. Es geht nicht darum, zu sagen: Toll, dass das jetzt passiert! Sondern darum, zu akzeptieren, dass das jetzt Realität ist. Wenn wir dieses innerliche Okay nicht sagen, haben wir relativ wenige Möglichkeiten, konstruktiv mit der Situation umzugehen. Wir brauchen also die Bereitschaft, Akzeptanz zu entwickeln, auch wenn das nicht immer einfach ist.
Das gilt genauso für den Alltag im Büro: Wenn der Schreibtisch voll ist und schon zwei Stunden nach Wochenstart so viel Neues dazukommt, dass ich mich völlig überrollt fühle, wird es mir schwerfallen, sofort Akzeptanz zu entwickeln. Da lautet mein Tipp: Komplexitätsreduktion. Das heißt, sich erstmal anschauen, was da überhaupt alles auf dem Schreibtisch liegt. Dann sollte man sich ein Zeitfenster schaffen, in dem man die Dinge sortieren und ordnen kann.
Ein wertvolles Tool aus dem Zeitmanagement ist dabei die Eisenhower-Matrix, die hilft zu unterscheiden, was wichtig und was dringlich ist – was vielleicht beides, und was nichts davon. Wenn es ein technisches Problem gibt, wegen dem Leute überhaupt nicht arbeiten können, dann müssen wir dafür eben alles andere stehen und liegen lassen, weil das Beheben des Problems dringlich UND wichtig ist. Doch häufig sind es weniger wichtige Dinge, die dringlich daherkommen, weil es um die Prioritäten Dritter geht. In Stressmomenten werden diese dann oft von uns zuerst bearbeitet. Genau hier sollte ich mir aber die Frage stellen, was ich zurückstellen kann, um mich zuerst um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern.“
Wie können HR-Abteilungen von Zukunftsoptimismus profitieren?
Und wie können sie dazu beitragen, diese Haltung vermehrt ins Unternehmen zu tragen?
„Es geht hier um eine grundsätzliche Einstellung, über die wir reden – und die ist nichts, was sich in einem einstündigen Online-Seminar entwickeln lässt, es ist tatsächlich eine Lebensaufgabe. Ich arbeite seit 20 Jahren in dem Bereich, und das bedeutet nicht, dass ich nicht genauso gelegentlich vor Situationen stehe, die mir Schwierigkeiten bereiten. Ich empfehle HR-Teams auf jeden Fall, langfristig und nachhaltig Dinge für die Mitarbeitenden zu planen und anzustoßen. Denn oft sind es nur einmalige Events, die zwar vom Wissenstransfer her fein sind, doch die nicht dazu geeignet sind, Menschen nachhaltig in ihrer Einstellung, in ihrem Mindset zu begleiten und weiterzuentwickeln. HR-Abteilungen sollten versuchen, solche Veranstaltungen regelmäßiger anzubieten und immer wieder Punkte suchen, an denen man dazu kommunizieren kann.
Der zweite Aspekt ist, innerhalb einer Organisation dafür zu sorgen, dass Führungskräfte als Vorbild vorausgehen und Kompetenzen im Bereich Mentoring und Coaching entwickeln. So hat man als Unternehmen eine gute Möglichkeit, eine positive Haltung zu etablieren und als lernende Organisation ein Mindset zu entwickeln, das in Richtung Zukunft geht – und das rein unternehmerisch gesehen auch ein riesiger USP sein kann.“
Das klingt vielversprechend! Doch was mache ich mit dem „Optimismus-Grinch“, der von so etwas wie Mindset so gar nichts wissen will?
„Optimismus ist absolut nichts, was man verordnen kann. Die wirksamste Strategie ist tatsächlich, diese Haltung vorzuleben, und wenn Mitarbeitende dann feststellen, dass die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen und in der Organisation kommuniziert wird – konstruktiv, lebensbejahend, optimistisch, positiv – ihnen gefällt, dann fangen sie an, die Dinge zu imitieren.
Doch wenn irgendwo wirklich so ein Grinch sitzt, der das alles blöd findet, dann kann es helfen, ein sehr ehrliches Gespräch zu führen und herauszufinden, was dahintersteckt. Warum kann diese Person nichts damit anfangen, was könnte man ändern, damit es funktioniert? Hier hilft es, im Gespräch als Spiegel zu fungieren, sodass Mitarbeitende sich selbst erkennen können und dementsprechend eine intrinsische Motivation entwickeln, sich weiterzuentwickeln.
Wenn es sich tatsächlich um notorische Nörgler und Bremser handelt, die allen Innovationen skeptisch gegenüberstehen, dann gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen: Vielleicht finde ich für sie einen Job, wo genau diese kritische Haltung gefragt ist, im Qualitätsmanagement oder im Controlling? Und wenn es gar nicht anders geht, ist die traurige Wahrheit, dass ich zum Wohle des Teams und des Großen Ganzen darüber nachdenken muss, ob wir besser getrennte Wege gehen. Nicht jeder Mensch passt in jede Kultur gleichermaßen rein. Doch gerade in großen Unternehmen gibt es oft Möglichkeiten, um diese Menschen, die jeden Fehler entdecken und ständig Kritik üben wollen, sinnvoll einzusetzen. Ich habe selbst schon Überraschungen erlebt, dass jemand in einer neuen Rolle dann total aufging.“
Da könnte sich dann auch neuer Optimismus entwickeln?
„Ja, ich denke, es geht einfach darum, eine Möglichkeit zu finden, dass Menschen Freude an ihrer Arbeit finden und eine andere Einstellung entwickeln. Wenn man herausfindet, was die Tätigkeiten sind, die einen erfüllen, und wo man diese ausleben kann, dann braucht man den Optimismus gar nicht von oben zu verordnen – dann stellt er sich idealerweise ganz von selbst ein.
Mit dem Optimismus einher kommen dann meist Verhaltensweisen wie Anerkennung, Dankbarkeit und Großzügigkeit. Man freut sich miteinander, spricht Komplimente aus, geht bei Kritik nicht sofort in die Verteidigung und zählt bei Veränderungen nicht direkt Gründe auf, warum das nicht funktionieren kann. Sondern es passiert, dass sich die Organisation aus sich selbst heraus, aus den Menschen heraus weiterentwickelt. Und das ist ein Asset, der mit nichts zu bezahlen ist.“
Zum Schluss noch die Frage: Was machst du, wenn dir alles mal zu viel wird?
„Ich suche da tatsächlich sehr bewusst nach Zeitfenstern, in denen nichts im Kalender steht, und an denen ich dann wirklich nichts tue. Ich finde solche Auszeiten ganz wichtig und kann sie zum Ausgleich nutzen. Ich kann sehr gut beim Sport abschalten: Wenn sich der Körper auspowert, kommt der Geist zur Ruhe. Es gibt Sportarten wie zum Beispiel Skifahren, da kann man sich gar nicht erlauben, nicht voll dabei zu sein. Außerdem meditiere ich sehr gerne. Seit einem Retreat in einem buddhistischen Kloster vor zehn Jahren habe ich das für mich beibehalten, und ich profitiere bis heute in meinem Alltag sehr davon.“
Danke für das spannende, optimistische und inspirierende Gespräch, lieber Jörg!
Zur Person:
Jörg Hawlitzeck ist Business-Philosoph und Experte für Leadership, Management und Change. Als Executive Mentor und Coach begleitet er seit 20 Jahren Menschen und Unternehmen ganz optimistisch in ihrer Weiterentwicklung. www.joerg-hawlitzeck.com | www.business-culture.com
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