„Ghosting“ im Recruiting
Was tun, wenn plötzlich Funkstille herrscht?

90 Prozent der deutschen HR-Teams haben schon erlebt, dass Kandidat:innen im Bewerbungsprozess abtauchen. Woran es liegt und was dagegen hilft.
Als wäre es nicht schon schwer genug, in der heutigen Zeit gute Fachkräfte zu finden: Recruiter:innen erleben es immer wieder, dass vielversprechende Kandidat:innen einfach abspringen. Sie melden sich nach einem Vorstellungsgespräch nicht mehr oder – noch schlimmer – erscheinen sogar nicht zum ersten Arbeitstag, obwohl eigentlich alles in trockenen Tüchern war. Woher kommt dieses „Ghosting“, wie man im HR-Jargon sagt? Und was können Personalabteilungen tun?
Was ist Ghosting überhaupt?
Der Begriff kommt ursprünglich aus der Dating-Welt: Dort nennt man es Ghosting (von englisch „ghost“ = Geist), wenn sich die andere Person nach einigen Treffen nicht mehr meldet. Ebenso spricht man von Ghosting, wenn sich Bekannte oder befreundete Menschen ohne Erklärung überraschend zurückziehen. Es geht also immer um unerwartete Funkstille, die beim Gegenüber mindestens Verwirrung und oft genug sogar Verzweiflung auslöst. Inzwischen hat sich der Begriff auch im HR-Bereich etabliert, leider: Eine Umfrage im Auftrag der Jobplattform „Indeed“ zeigt, dass 90 Prozent (!) von 400 befragten Personalfachleuten bereits Erfahrungen mit nicht zu erklärendem und plötzlichem Verschwinden gemacht haben. Und sogar mehr als die Hälfte gibt an, dass Ghosting im letzten Jahr häufiger geworden sei.
Tatsächlich sollte gesagt werden, dass Ghosting nicht immer nur von Bewerber:innen ausgeht: Es kommt auch vor, dass sich Unternehmen plötzlich nicht mehr bei den Menschen melden, die sich beworben haben und eigentlich dort arbeiten möchten – auch das ist ein Unding. In diesem Text legen wir den Fokus aber auf das häufigere Phänomen, Ghosting durch Kandidat:innen und gehen der Frage nach, wo die Ursachen für dieses „Trend“ liegen könnten, und wie man diese erfolgreich aus der Welt schafft.
Ursachen für Ghosting durch Bewerber:innen
Jeder Bewerbungsprozess ist anders, und so können auch die Ursachen des Ghostings komplett verschieden sein: Manchmal reicht schon die beiläufige Bemerkung eines Recruiters, die vielleicht ein schlechtes Gefühl hinterlässt und für den Kontaktabbruch sorgt. Es lässt sich also nicht pauschal sagen, warum eine Person im Einzelfall das Interesse an einem Job verliert. Doch die folgenden Gründe sind erwiesenermaßen häufige Ursachen für Ghosting im Bewerbungsprozess:
- Ein attraktiveres Angebot an anderer Stelle
Die meisten Menschen auf Jobsuche schicken mehrere Bewerbungen parallel los. Wenn ein Angebot besonders verlockend ist, oder die Konditionen an anderer Stelle einfach besser sind, dann springen Bewerbende oft aus einem Prozess ab. (Das ist nachvollziehbar, doch auch hier ist es eine Frage des Stils, wenigstens kurz und freundlich abzusagen.) - Frustrierende Candidate-Experience
Zu lange Rückmeldefristen, ein schlechter Eindruck im Vorstellungsgespräch, mangelnde Vorbereitung auf das Interview: Es gibt viele Möglichkeiten, mit denen auch das HR-Team eines Unternehmens selbst für Frust auf Bewerber:innen-Seite sorgen kann. Wer hier also schlechte Erfahrungen gemacht hat, setzt oft auf Ghosting, wenn alternative Angebote vorliegen. - Lückenhafte Kommunikation
Viele Kandidat:innen wollen heute Schritt für Schritt durch den Bewerbungsprozess geführt werden und immer wissen, wo sie gerade stehen. Wenn dagegen Unsicherheit herrscht, wann mit einer Rückmeldung oder der nächsten Gesprächsrunde zu rechnen ist, sich Unternehmen zu lange Zeit mit Antworten lassen, kann das (bei guter Angebotslage) ein Grund zum Kontaktabbruch sein. - Ungewissheit, ob es passt
Wer sich für einen Job entscheidet, möchte sicher sein, dass er oder sie zum Unternehmen passt. Bestehen nach dem ersten oder auch zweiten Vorstellungsgespräch Zweifel darüber, ist das ein großer Störfaktor. Auch solche Unsicherheiten können dafür führen, dass sich eigentlich vielversprechende Kandidat:innen nie wieder melden. - Mangelnde Bindung
Ein gutes Onboarding beginnt schon vor dem ersten Arbeitstag: Sobald eine Einigung zwischen Kandidat:in und Personalabteilung erzielt ist, sollte es erste Maßnahmen geben, um eine Bindung aufzubauen. Fehlt diese, und vergeht einige Zeit zwischen Zeitpunkt der Zusage und erstem Tag im Job, kann diese Lücke dafür sorgen, dass den künftigen Mitarbeitenden doch wieder Zweifel kommen, ob die Entscheidung richtig ist – und schlimmstenfalls tauchen sie dann am ersten Arbeitstag einfach nicht auf.
Welche rechtlichen Möglichkeiten hat HR?
Der erwähnten „Indeed“-Umfrage zufolge haben es sieben Prozent der Recruiter bereits erlebt, dass Personen, die schon einen Arbeitsvertrag unterschrieben haben, ohne Vorankündigung nicht zum Dienst erscheinen. Sie treten den Job einfach nicht an, ohne (vorab) eine Erklärung dafür zu liefern. Das ist eine frustrierende Situation für die Unternehmen – und theoretisch hätte der Arbeitgeber sogar rechtliche Möglichkeiten, die Person zur Aufnahme des Jobs zu zwingen. Schließlich ist ein rechtlich bindender Vertrag unterschrieben worden, durch das Bewerbungsverfahren sind Kosten entstanden, und vielleicht ist anderen Bewerbenden sogar schon abgesagt worden. In den meisten Fällen wird darauf allerdings verzichtet, weil so das Arbeitsklima vom ersten Tag an getrübt wäre, und der neue Mitarbeitende von sich aus die Möglichkeit hätte, direkt beim Start in den Job wieder zu kündigen.
Fachleuten zufolge wäre es auch deshalb möglich, von den nicht erscheinenden Personen Schadensersatz zu verlangen, weil in einem Unternehmen zusätzlich Kosten anfallen, wenn die Stelle länger nicht besetzt bleibt, und der aufwendige Bewerbungsprozess neu aufgerollt werden muss. Ob ein Arbeitgeber diesen Schritt wirklich geht, darf im Einzelfall entschieden werden.
Fest steht: Wenn Kandidat:innen den Kontakt abbrechen, BEVOR ein Arbeitsvertrag unterschrieben ist, haben Arbeitgeber keine rechtlichen Mittel. Selbst, wenn bereits mehrere vielversprechende Gespräche geführt wurden, und eine Vertragsunterschrift zum Greifen nah war – bevor nicht die Unterschrift unter dem Vertrag steht, ist noch nichts endgültig entschieden. In allen Fällen heißt es für HR-Teams hier nur: Erneut auf die Suche gehen – und diesmal darauf setzen, dass man zuverlässige Kandidat:innen gewinnen und auch halten kann.
Ghosting vermeiden: Das können Sie als HR-Team tun
Die zuvor genannten Ursachen für Ghosting zeigen schon, wo Arbeitgeber ansetzen können, um Talente im Bewerbungsprozess bei Laune zu halten – umgekehrt leiten sich daraus folgende Maßnahmen ab, die HR-Teams umsetzen können (und sollten), damit sie kein Ghosting erleben:
- Candidate Experience optimieren:
Wer sich schon im Bewerbungsprozess wertgeschätzt und gut behandelt fühlt, bleibt eher an Bord. Sorgen Sie also dafür, dass die Bewerber:innen zeitnah Antworten erhalten, versenden Sie möglichst viele persönliche Nachrichten statt Standardmails, erzeugen Sie in Interviews eine angenehme Atmosphäre, und nehmen Sie die Belange der Kandidat:innen ernst. Das kann auch mal Flexibilität erfordern: Gehen Sie nach Möglichkeiten auf die Wünsche der Personen ein, wenn es etwa um die Tageszeit für Gespräche geht. - Kommunikation auf Augenhöhe schaffen:
Wenn es Ihnen gelingt, die Bewerber:innen transparent über den Prozess auf dem Laufenden zu halten, Sie offen und freundlich kommunizieren, auf alle Fragen und Rückfragen zügig reagieren und selbst negatives Feedback wertschätzend übermitteln: Dann sorgen Sie dafür, dass Sie als Arbeitgeber einen wirklich guten Eindruck hinterlassen. Dazu gehört auch, dass Sie realistische Erwartungen erzeugen: Wenn Sie sich erst nach drei Wochen wieder melden können, teilen Sie das genau so mit, anstatt falsche Versprechungen zu machen. - Seien Sie möglichst schnell
Manchmal ist es nur eine freundliche Mail von einem anderen Arbeitgeber, die einen Tag früher im Posteingang landet – und schon entscheidet sich eine Person für das Angebot der Konkurrenz. Auch wenn Sie natürlich bei so einer wichtigen Entscheidung wie einer Einstellung nichts überstürzen sollten, hilft es immer, schnell zu sein. Optimieren Sie Ihre Prozesse hinter den HR-Kulissen, um zeitnah Entscheidungen treffen zu können. - Onboarding schon vor dem Job-Start
Wir haben es schon oben erwähnt: Onboarding, das schon vor dem ersten Arbeitstag beginnt, kann das Risiko, dass Personen einfach nicht auftauchen, erheblich verringern. Was Sie dafür tun können? Laden Sie künftige Mitarbeitende schon vor Job-Start zu Team-Events oder Weihnachtsfeiern ein, schicken Sie ein kleines, persönliches Willkommenspaket, halten Sie regelmäßig den Kontakt über E-Mails oder kurze Check-Ins per Video-Call. Natürlich sollen Sie nicht zu viel Zeit damit verbringen, bevor die Person für Sie arbeitet. Doch sicher findet sich immer ein Grund für einen kurzen Austausch – und genau dieser kann den Unterschied machen. - Holen Sie ehrliches Feedback ein
Wie erleben Kandidaten den Einstellungsprozess bei Ihnen? Wenn Sie es schaffen, ein ehrliches Feedback zu bekommen, können Sie wichtige Stellschrauben optimieren. Am wertvollsten wären natürlich die Rückmeldung von Kandidatinnen oder Kandidaten, die Sie „ghosten“ … Doch auch bei kürzlich eingestellten Mitarbeitenden können Sie nachfragen, wie sie den Prozess erlebt haben, so lange die Erinnerung daran noch „frisch“ ist. Sie ernten Kritik? Wunderbar, dann wissen Sie direkt, wo Sie ansetzen können. Am besten, Sie finden auch heraus, an welchen Stellen im Prozess Kandidat:innen abspringen und erhalten so Hinweise darauf, wo Schwachstellen liegen.
Haben Sie nun mehr darüber erfahren können, warum Sie Kandidat:innen vielleicht auf halber Strecke verloren haben? Oder sind Sie eher erleichtert darüber, dass Sie noch keine Ghosting-Erfahrung im Recruiting machen mussten? In jedem Fall wünschen wir Ihnen für die Zukunft vor allem erfolgreiche Einstellungen in wie am Schnürchen laufenden Recruiting-Prozessen – ganz ohne unerwünschte Geister.
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